Der aktuelle Einbruch der Ausbildungszahlen ist bislang einzigartig, berichtet das Statistische Bundesamt (Destatis) Mitte dieser Woche und sieht darin einen deutlichen Effekt der Corona-Krise auf den Ausbildungsmarkt in Deutschland. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 9,4 Prozent weniger Ausbildungsverträge geschlossen.
Diese Entwicklung ist in der Reisewirtschaft noch deutlich stärker zu spüren, so der Deutsche Reiseverband (DRV). „Der Rückgang der Ausbildungszahlen im Reisebüro und bei Reiseveranstaltern ist mehr als nur besorgniserregend“, erklärt DRV-Präsident Norbert Fiebig. Im Krisenjahr 2020 wurden im Vergleich zu 2019 knapp zwei Drittel weniger neue Ausbildungsverträge zum Tourismuskaufmann bzw. zur Tourismuskauffrau abgeschlossen. Auch die Aussichten für 2021 sind dramatisch. Reisen finden seit über einem Jahr, so gut wie überhaupt nicht statt. Die Reisewirtschaft verzeichnet Umsatzverluste von 80 Prozent und mehr. Immer neue Stigmatisierung von Auslandsreisen als Pandemietreiber erschweren die Situation zusätzlich und damit auch die Entscheidung für eine Ausbildung im Tourismus – sowohl auf Seiten der jungen Menschen als auch auf Seiten der ausbildenden Reisebüros und Reiseveranstalter. „Ein Konzept für den Neustart der Tourismusbranche ist elementar für die Fachkräftesicherung. Hier ist die Politik gefordert“, ergänzt Fiebig. Am wichtigsten sei es aktuell – auch in Bezug auf die Ausbildungssituation – endlich Perspektiven zu schaffen. Damit die Reisewirtschaft wieder ihrem Geschäft, dem Verkauf von Reisen, nachgehen kann. „Nur so können den tausenden angehenden Tourismuskaufleuten Perspektiven geboten und die Unternehmen ermutigt werden, weiterhin auszubilden.“
Je länger der Lockdown andauert, von touristischen Reisen abgeraten wird und damit das Geschäft der tausenden Reiseveranstalter und Reisebüros in Deutschland am Boden liegt, umso prekärer wird die Situation für die Auszubildenden der Reisewirtschaft. Bei der Ausbildung zur Tourismuskauffrau bzw. zum Tourismuskaufmann liegt ein großer Schwerpunkt auf der Organisation und dem Vertrieb von Reisen, Kundenkontakt ist in der serviceorientierten Tourismusbranche elementar. Zwar können die Unternehmen der Reisewirtschaft über innovative digitale Tools den Kontakt zu den Kundinnen und Kunden aufrecht erhalten, die wichtige persönliche Beratung der Reisenden ist jedoch derzeit kaum möglich und kann somit auch nicht gelehrt werden.
Fiebig weiter: „Das Engagement der Regierung mit dem Förderprogramm ‚Ausbildungsplätze sichern‘ und die Erhöhung der Prämie für Ausbildungsbetriebe ist sicherlich lobenswert. Ob so jedoch tatsächlich Ausbildungsplätze gesichert und zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden können, bleibt zumindest fraglich.“ Die gesamte Reisewirtschaft braucht eine Öffnungsperspektive. Nur wenn die Unternehmen wissen, wann und wie sie wieder arbeiten dürfen, können sie sich auch ernsthaft Gedanken darüber machen, wieder auszubilden und jungen Menschen den Weg in diese schöne Branche zu zeigen. „Eine Prämie kann nur ein Bestandteil einer Lösung sein – wird aber für sich genommen die Situation nicht grundlegend verbessern können.“
Für den kommenden Ausbildungsjahrgang ab Herbst 2021 zeigen die Prognosen ein noch dramatischeres Bild. Der DRV-Präsident: „Ohne Perspektiven und eine verlässliche Öffnungsstrategie der Bundesregierung, ist es den Betrieben nahezu unmöglich, Ausbildungsplätze anzubieten – auch wenn sie gerne ausbilden würden.“ Viele Unternehmen kämpfen derzeit um ihre Existenz. In dieser Lage falle es ihnen verständlicherweise schwer, für die nächsten drei Jahre Verantwortung für einen jungen Menschen zu übernehmen und ihm oder ihr eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung anbieten zu können. „Damit verschärft sich der bereits bestehende Fachkräftemangel weiter“, mahnt Fiebig. Darüber hinaus werde es schwierig sein, die bestehenden Strukturen in den Berufsschulen zu erhalten. Aufgrund der fehlenden Nachfrage wird das touristische Ausbildungsangebot vielfach bedroht sein. „Und wenn Angebote einmal eingestellt sind, lassen sie sich auch nicht ‚per Knopfdruck‘ wieder einfach hochfahren. Die Politik muss diese Entwicklung im Auge haben und gezielt gegensteuern, damit das Angebot erhalten bleibt“, ergänzt der DRV-Präsident.