„Der Beginn der Corona-Krise im März 2020 hat gezeigt, dass die Geschwindigkeit politischer Entscheidungsprozesse – besonders auf europäischer Ebene – nicht ausreichend schnell ist. Deshalb brauchen wir in einer künftigen Pauschalreiserichtlinie eine Art Pandemieklausel“, sagte Dirk Inger, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Reiseverbandes (DRV), am Dienstagabend in Brüssel bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem europäischen Dachverband ECTAA anlässlich der für das kommende Jahr erwarteten Revision der Pauschalreiserichtlinie. „Bei umfassenden Störungen der Reisekette in mehreren EU-Mitgliedsstaaten wie beispielsweise einer weltweiten Reisewarnung müssen Mechanismen entwickelt werden, die Reisende und Reiseunternehmen gleichermaßen schützen. Hier sollte die EU-Kommission im Rahmen der anstehenden Revision der Pauschalreiserichtlinie einen klugen Vorschlag machen.“
Dr. Ute Dallmeier, Geschäftsführerin Lufthansa City Center Niederrhein, äußerte sich zu der beständig zunehmenden Menge regulatorischer Anforderungen an die Reiseunternehmen: „Das geht vor allem zu Lasten der kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere der Reisebüros. Doch gerade die rund 10.000 Reisebüros in Deutschland sind die besten Verbraucherschützer ihrer Kunden. Sie lotsen Urlauber und Geschäftsreisende unabhängig zu den besten Angeboten. Durch das wachsende Dickicht aus Vorschriften, Regulierungen und Gesetzen werden gerade diese unabhängigen Unternehmerinnen und Unternehmer erdrückt. Hier brauchen wir ein Umdenken, das die Vielfalt der Reisebüro- und Veranstalterlandschaft wieder stärker wertschätzt.“
Vor allem gehe es auch um einen fairen Wettbewerb erklärte Dirk Inger. „Pauschalreisen stehen nicht nur im Wettbewerb untereinander. Kunden vergleichen sie auch mit Einzelleistungen, die deutlich geringeren Verbraucherschutzanforderungen unterliegen.“ Während es in Deutschland traditionell einen großen Pauschalreisemarkt gebe, sei dies in der EU anders. „EU-weit sind lediglich neun Prozent aller Reiseleistungen Pauschalreisen“, so Inger. „Deswegen muss die EU-Kommission darauf achten, dass Verbraucherschutzanforderungen nicht im ohnehin schon sehr verbraucherfreundlichen Pauschalreisemarkt weiter erhöht werden.“ Ansonsten bestehe die große Gefahr, dass am Ende weniger Verbraucherschutz herauskomme. Und zwar genau dann, wenn die preissensiblen Kunden sich verstärkt den weniger geschützten Einzelleistungen zuwenden. „Das darf nicht das Ergebnis einer Revision sein“, betonte der Hauptgeschäftsführer.
Frank Oostdam, Präsident der ECTAA, ergänzte: „Die Industrie erholt sich und kann positiver Treiber der Wirtschaft sein. Die geplante Reform der Pauschalreiserichtlinie könnte zu einer schlechteren rechtlichen Absicherung bei vielen Verbrauchern führen. Stattdessen sollte die EU die positive Entwicklung in der Reisebranche unterstützen und stärker auf die Vorteile von Pauschalreisen aufmerksam machen. Das erhöht den Verbraucherschutz.“
Zur Veranstaltung in Brüssel:
Zusammen mit dem europäischen Dachverband ECTAA richtete der DRV am 25. Oktober eine Veranstaltung anlässlich der für das kommende Jahr erwarteten Revision der Pauschalreiserichtlinie aus. Zentrales Thema war, welche Lehren aus der pandemiebedingten Krise gezogen werden konnten und inwiefern diese Erfahrungen in die Pauschalreiserichtlinie einfließen sollten. An der Diskussionsrunde nahmen Dirk Inger, Frank Oostdam, Dr. Ute Dallmeier und István Ujhelyi, Mitglied des Europäischen Parlaments und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und Tourismus (TRAN) teil.
Zum Hintergrund der Pauschalreiserichtlinie:
Ziel der EU-Pauschalreiserichtlinie, deren Umsetzung in deutsches Recht für Buchungen, die seit dem 1. Juli 2018 zur Anwendung kam, war ursprünglich ein verbesserter Kundenschutz in allen Mitgliedstaaten der EU. Damit verbunden waren zahlreiche Auflagen für Reisebüros und Reiseveranstalter, die wegen der damit einhergehenden Bürokratie und den Belastungen sowohl für Reisemittler als auch für Reiseveranstalter seitens DRV von Beginn an immer wieder kritisiert worden sind. Die Krise aufgrund der Corona-Pandemie hat die Reformbedürftigkeit der Pauschalreiserichtlinie deutlich sichtbar gemacht. Vom 15. Februar 2022 bis zum 10. Mai 2022 veranlasste die Europäische Kommission daher eine öffentliche Anhörung zur Pauschalreiserichtlinie bei der sich relevante Akteure äußern konnten. Ein erster Vorschlag der EU-Kommission zur Revision der Pauschalreiserichtlinie wird im Laufe des kommenden Jahres erwartet.